Staatspräsident George Vella beim Republic Day 2019

„Malta ist größer als diese Clique, die Schande über unser Land gebracht hat“

A thumbnail image

Maltas Staatspräsident George Vella, dem die Verfassung ähnlich unserem Bundespräsidenten vorwiegend repräsentative Funktionen zuweist, hat am 13. Dezember 2019, dem Republic Day, keine übliche (Staats-)Feiertagsrede gehalten. Dies hätte den Erwartungen an das Staatsoberhaupt auch nicht entsprochen, angesichts der Staatskrise, in der sich der kleinste Mitgliedstaat der EU derzeit befindet. In ruhigem Ton verlas Vella eine Ansprache, die es in sich hatte. Das Konzept der Rede war unverkennbar: Schonungslose Zustandsbeschreibung, Abbitte leisten für das Geschehene, Besserung geloben, Mahnung zur Einheit und Werben für das "wahre Image" Maltas. In Erinnerung bleiben wird wohl vor allem der bemerkenswerte Satz: "Malta ist größer als die Clique, die Schande über unser Land gebracht hat".

Malta steckt in einer veritablen Staatskrise. Nachdem einer der reichsten Männer des Landes, der Unternehmer Yorgen Fenech, unter dem Verdacht festgenommen wurde, der Auftraggeber des Bombenattentats auf die Journalistin Daphne Caruana Galizia zu sein, nach der vorübergehenden Festnahme von Keith Schembri, des zurückgetretenen Stabschefs des Premierministers und durch die Vernehmung des Mittelsmannes und Kronzeugen Melvin Theuma verdichten sich Hinweise auf mafiöse Strukturen, die bis in das Machtzentrum des Staates hineinreichen. Die Verfahren im Justizpalast von Valletta befinden sich auf der Stufe der Beweisaufnahme, jeweils unter Vorsitz eines Untersuchungsrichters oder einer Untersuchungsrichterin. Den Verlauf kann man an den Verhandlungstagen in Live-Blogs in den Online-Ausgaben englischsprachiger maltesischer Medien verfolgen. Und kaum ein Tag vergeht, an dem nicht internationale Medien über die Vorgänge in Malta berichten.

Die Rede des aus der regierenden Labour Party hervorgegangenen und seit April 2019 amtierenden Präsidenten fand auch vorsichtige Zustimmung unter den Angehörigen der Zivilgesellschaft. Diese machen fast täglich mit Demonstrationen auf die Zustände in Malta aufmerksam und fordern Gerechtigkeit für die bei einem Bombenattentat getötete Journalistin Daphne Caruana Galizia. Ich möchte denjenigen Lesern, die wie ich, die politischen Ereignisse in Malta nachverfolgen, einige wesentliche Zitate aus der Rede vorstellen.

Vella sprach überwiegend auf Maltesisch und in einer Passage, mit der er sich ausdrücklich an ausländische Medien und "internationale Partner" richtete, Englisch. Basis für meine Übersetzung ist die vom Präsidialamt veröffentlichte englische Version der vollständigen Rede. Gelegentlich habe ich Erläuterungen hinzugefügt.

„Nur zu sagen, es tut uns leid, für das, was passiert ist, reicht definitiv nicht aus“. Maltas Staatspräsident Dr. George Vella bei seiner Ansprache zum Republic Day am 13. Dezember 2019.   Foto: © Clifton Fenech (Department of Information / Malta)

„Nur zu sagen, es tut uns leid, für das, was passiert ist, reicht definitiv nicht aus“. Maltas Staatspräsident Dr. George Vella bei seiner Ansprache zum Republic Day am 13. Dezember 2019. Foto: © Clifton Fenech (Department of Information / Malta)

So beschrieb Vella die gegenwärtige Situation:

"Ich bin, genauso wie Sie, traurig, verletzt und geschockt."

"Dies sind Verhältnisse, die die maltesische Gesellschaft ins Mark getroffen haben. Die Fundamente unserer Institutionen erschüttert haben, den Namen Maltas international beschmutzt haben."

"Dies sind Verhältnisse, die einen negativen Effekt für unsere Glaubwürdigkeit, unsere geschäftlichen Aktivitäten, Investitionen, Tourismus und für den guten Ruf haben, den Malta bisher immer in internationalen Sphären hatte."

"Die vergangenen Tage waren für niemanden erfreulich. Wem immer die Interessen der Republik am Herzen liegen, hatte Wochen der Trostlosigkeit durchlebt und sogar einen Grad des Zorns gegenüber den Individuen, die uns dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Was sich abspielte, hat es bisher nicht gegeben. Ein schwerer Schatten des Zweifels liegt über unseren Institutionen und ihrer Unparteilichkeit".

Das sagte er über die Verantwortlichen:

"Denken wir daran, dass die Republik Malta sehr viel größer ist als diese Clique, die Schande über unser Land gebracht hat".

Anmerkung: Im englischen Text ist von einer gang of people die Rede, was man als "Bande von Leuten" übersetzen kann. Gesagt hat Vella (maltesisch) din il-klikka auf Deutsch "diese Clique". Die Unterscheidung erscheint mir wichtig, zumal der Präsident an keiner Stelle seiner Rede Namen von Verantwortlichen genannt hat. Das Wort „Bande“ beschreibt eine Gruppe, die Straftaten begangen hat. Das Wort „Clique“ ist weiter gefasst: Eine Gruppe, die sich gegenseitig illegitime Vorteile verschafft. Das schließt auch Gruppenmitglieder ein, die sich moralischer, aber nicht in jedem Falle strafrelevanter Verfehlungen schuldig gemacht haben, verantwortungslos handelnde Politiker zum Beispiel.

Das sagte er zu den Konsequenzen, die gezogen werden müssen:

"Wir müssen in der Hoffnung vereint sein, dass alle, die Verantwortung für ihr Verhalten zu tragen haben, genau dies tun und die Konsequenzen ziehen. Wer auch immer das sein mag".

"Das maltesische Volk erwartet, dass Recht geschieht".

"Die Ermittlungs- und Justizbehörden sollen ihre Arbeit ohne Einmischung, in Ruhe und mit dem gebotenen Respekt für ihre Integrität, Kompetenz und Unabhängigkeit machen können".

Es sei auch die Aufgabe des Parlaments, "Gesetze für die Stärkung unserer Institutionen zu erlassen, die die Unabhängigkeit der Justiz garantieren, damit sie ohne Einmischung arbeiten kann und ihre Pflichten unparteilich und gerecht erfüllen kann".

Vella sprach sich auch für die Fortsetzung der Diskussion um eine Verfassungsreform aus. Gleichzeitig würden auch den Empfehlungen Beachtung geschenkt, die die Venedig-Kommission unterbreitet hat.

Anmerkung: Die Venedig-Kommission (Venice Commission) ist eine Einrichtung des Europarates, die Mitgliedsländer in Verfassungsfragen berät. Diese hat in ihrem Gutachten zu Malta vom 18.12.2018 viele Vorschläge für eine Justizreform gemacht. Ein Beispiel: Die Kommission hielt die Doppelrolle des maltesischen Generalstaatsanwalts (Attorney General) für problematisch. Er war bisher gleichzeitig Chefankläger und Berater der Regierung in Rechtsfragen. Auf Vorschlag der Kommission wurde die Funktion jetzt aufgeteilt. Oberster Strafverfolger oder Chefankläger blieb der bisherige Attorney General Peter Grech; in das neu geschaffene Amt des State Advocate wurde Victoria Buttigieg berufen. Zu ihren Aufgaben gehört die rechtliche und verfassungsrechtliche Beratung der Regierung.

Vellas Sorge um das Ansehen Maltas:

"Lasst uns den (guten) Namen unseres Landes verteidigen, vor allem gegenüber jenen, die dieses Geschehen dazu ausnutzen können, Maltas Ansehen im Ausland zu schädigen und zu schmälern".

Anmerkung: Der Satz ist problematisch vor dem Hintergrund, dass maltesische Oppositionsabgeordnete im Europäischen Parlament, die dort Defizite in der Rechtsstaatlichkeit Maltas beklagt haben, zuhause gelegentlich als Verräter (traitors) gebrandmarkt wurden.

"Lasst uns Malteser, die wir in unserer ganz überwiegenden Mehrzahl ehrliche, hart arbeitende, fähige, loyale und gottesfürchtige Menschen sind, weiterhin erhobenen Hauptes bleiben. Lasst uns unseren Weg zuhause und im Ausland fortsetzen, um die Arbeitsbedingungen, die Lebensqualität zu verbessern und vor allem die Solidarität zu stärken, die unser Volk immer geeint hat".

"Dies sind unsere wahren Werte und das wirkliche Bild von Malta".

Das sagt er über den Mord an Daphne Caruana Galizia:

"Wir sollten uns nicht scheuen, darin verbunden zu sein, einzugestehen, dass der Mordanschlag auf Frau Caruana Galizia eine abscheuliche Tat war. Gemeinsam müssen wir feierlich versprechen, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, dass so etwas nie wieder passiert. Bei dieser Gelegenheit kommen wir zusammen, unser inniges Bedauern über das auszudrücken, was passiert ist"

Das sagt Vella zur Pressefreiheit und zur Debattenkultur in den sozialen Medien:

"Ich fordere die Umsetzung aller legislativen und Sicherheitsmaßnahmen, um die Freiheit der Presse und der Medien in Malta zu sichern. Gleichzeitig appelliere ich an Journalisten, sich ihrer großen Verantwortung bewusst zu sein, die sie in einer modernen Gesellschaft tragen".

"Ich appelliere auch an die allgemeine Öffentlichkeit, einen besseren Umgang mit den sozialen Medien zu pflegen, die sich, es tut mir leid, das so sagen zu müssen, durch verächtliche Sprache und bösartige Aussagen in eine unerschöpfliche Quelle des Hasses verwandelt haben".

Das ist seine Botschaft an Medien und Partner im Ausland:

"Nur zu sagen, es tut uns leid, für das, was passiert ist, reicht definitiv nicht aus".

"Wir werden sicherstellen, dass Gerechtigkeit geübt wird, und für jeden erkennbar ist, dass sie geübt wird".

Anmerkung: "We will ensure that justice is done, and that it is seen to be done". Das ist ein oft zitierter juristischer Grundsatz, der sich Wikipedia zufolge aus einem britischen Gerichtsprozess ableitet (R v Sussex Justices, ex parte McCarthy).

"Ich danke all den Ländern, die uns bei den Ermittlungen zum Attentat auf Frau Daphne Caruana Galizia geholfen haben, Ermittlungen die erforderlich waren und weiter stattfinden. Malta als Ganzes sollte nicht von diesen traurigen Ereignissen beeinträchtigt werden. Malta ist viel bedeutender als die Gruppe von Individuen, die in diese Ereignisse verwickelt sind, wer immer sie sind. Die Rolle unseres Landes in der Schaffung von allem was gut ist und förderlich für sein Volk, zuhause und international, sollte nicht verdunkelt werden, durch das, was zu unserem großen Bedauern passiert ist."

"Maltas Reputation verdient es nicht, beschmutzt und entwertet zu werden. Unser Land sollte weiterhin den Respekt erhalten, den es verdient, für das Gute das es über die Jahre geschaffen hat, und eine Geschichte und Kultur, die Tausende Jahre zurückreicht, für den enormen Beitrag, den es für die Erhaltung des Friedens in der Welt geleistet hat, für seine ausgezeichnete Geschichte in der Verteidigung von Werten, für die traditionelle Großzügigkeit der Malteser und das überwältigende Potential seiner humanen Ressourcen. Es sind dieselben Ressourcen, die ihre solide Grundlage in der Bildung haben und die in allen vier Erdteilen zu finden sind, auf den höchsten akademischen und administrativen Ebenen, die Maltas Namen mit der hohen Wertschätzung tragen, die es verdient".

"Das ist das Malta, das wir schätzen. Dies sind die Werte, die wir repräsentieren".

Schon kurz nachdem Daphne Caruana Galizia ermordet wurde, begannen ihre Familie und Angehörige der Zivilgesellschaft Blumen, Kerzen, Porträts und Plakate auf den untersten Stufen des Great-Siege-Denkmals in Valletta niederzulegen. In den englischsprachigen, maltesischen Medien war seitdem stets vom „makeshift memorial“, von der provisorischen Gedenkstätte für die durch ein Bombenattentat getötete Journalistin die Rede. Direkt gegenüber dem Justizpalast gelegen, war die improvisierte Gedenkstätte bisher  eine permanente Mahnung an die Justiz, den Fall vollständig aufzuklären. Diese Aufklärung scheint jetzt voran zu kommen, mit schockierenden Ergebnissen. In der Nacht zum Republic Day passierte übrigens Erstaunliches: Dank einer Nachtwache im Schichtbetrieb von Leuten, die das Gedenken an die Journalistin wachhalten wollen, wurden die Kerzen, Blumen und Plakate nicht, wie in den vielen Nächten zuvor auf ministerielle Anordnung von der Stadtreinigung entfernt. Justiz- und Kulturminsiter Owen Bonnici hatte sich bisher auf den legalistischen Standpunkt gestellt, das Great Siege Monument müsse als nationales in die Obhut der Regierung fallendes Kulturgut sauber gehalten werden. Es erinnert übrigens an die erfolgreiche Abwehr der Großen Belagerung durch die Türken im Jahre 1565. Manche empfinden die Situation in Malta derzeit freilich auch als eine Art Belagerung  - eine Belagerung durch das politische Establishment.  Das Foto (© Bertold Schmitt-Feuerbach) entstand am 2. Jahrestag des Attentats.

Schon kurz nachdem Daphne Caruana Galizia ermordet wurde, begannen ihre Familie und Angehörige der Zivilgesellschaft Blumen, Kerzen, Porträts und Plakate auf den untersten Stufen des Great-Siege-Denkmals in Valletta niederzulegen. In den englischsprachigen, maltesischen Medien war seitdem stets vom „makeshift memorial“, von der provisorischen Gedenkstätte für die durch ein Bombenattentat getötete Journalistin die Rede. Direkt gegenüber dem Justizpalast gelegen, war die improvisierte Gedenkstätte bisher eine permanente Mahnung an die Justiz, den Fall vollständig aufzuklären. Diese Aufklärung scheint jetzt voran zu kommen, mit schockierenden Ergebnissen. In der Nacht zum Republic Day passierte übrigens Erstaunliches: Dank einer Nachtwache im Schichtbetrieb von Leuten, die das Gedenken an die Journalistin wachhalten wollen, wurden die Kerzen, Blumen und Plakate nicht, wie in den vielen Nächten zuvor auf ministerielle Anordnung von der Stadtreinigung entfernt. Justiz- und Kulturminsiter Owen Bonnici hatte sich bisher auf den legalistischen Standpunkt gestellt, das Great Siege Monument müsse als nationales in die Obhut der Regierung fallendes Kulturgut sauber gehalten werden. Es erinnert übrigens an die erfolgreiche Abwehr der Großen Belagerung durch die Türken im Jahre 1565. Manche empfinden die Situation in Malta derzeit freilich auch als eine Art Belagerung - eine Belagerung durch das politische Establishment. Das Foto (© Bertold Schmitt-Feuerbach) entstand am 2. Jahrestag des Attentats.